Meine Reise-Experten
Italiens Süden ist das Sorgenkind der Nation. Im Vergleich mit dem Bruttoinlandsprodukt der EU, erreicht Apulien einen Wert, den man mit einer Region in der dritten Welt vergleichen könnte. Wir kümmern uns um den vernachlässigten Spross.
Wer nach dem Essen mehrere kleine Tässchen starken Kaffee bestellt, fragt nach „Espressi“. Beim Espresso ist die italienische Mehrzahl weithin bekannt. Schwieriger wird es bei Wörtern, die man in Deutschland nur in der Pluralform kennt. Aus einem Teller Nudeln zieht man den einzelnen Spaghetto. Ebenso flutscht dem, der mit seinen Kartoffelklößchen ungeschickt hantiert, ein Gnoccho von der Gabel.
Mit diesem Wissen werden Apulien-Urlauber eben nicht den schönsten Trulli für ein Foto suchen und auch nicht von den vielen Trullis schwärmen. Der charakteristische apulische Rundbau, Trullo, zählt zu den architektonischen Besonderheiten der süditalienischen Region. Die vielen Trulli, nicht Trullis, von Alberobello sind eine Reise wert.
Rundhäuser als Steuersparmodell
Ursprünglich entstanden die lustigen, weiß getünchten Rundhäuser mit dem kegelförmigen Steindach als eine Art Steuersparmodell. Sie gehen auf den Grafen Giangirolamo II. von Acquaviva zurück, der im 17. Jahrhundert über die Region herrschte und Steuern an den König von Neapel zu entrichten hatte. Die Höhe der Steuern hing von der Menge der Häuser in seiner Grafschaft ab.
Für ein schwer zugängliches Hochplateau entsann der schlaue Herrscher eine temporäre Wohnform. Das Dach eines Trullos wird ohne Mörtel gebaut. Wenn die Kunde vom reisenden Steuerprüfer aus Neapel umging, ließ es sich in relativ kurzer Zeit in einen Steinhaufen verwandeln und später wieder errichten. Für ein paar weiß getünchte Mauern und lose Steine im kargen Hochland, so der Graf, könne man ihm wohl kaum Steuern abverlangen.
Iglu für den Hochsommer
Der steinerne Bruder des Iglus war lange Zeit als lichtarmer Unterschlupf der Unterschicht verpönt. Die letzten Jahrzehnte bescherten dem Rundbau jedoch große Nachfrage. Seine massiven, dicken Steinwände mit den kleinen Fenstern halten den Innenraum auch im süditalienischen Sommer kühl und speichern im Winter die Wärme. Das geschlossene Trulli-Ensemble in der Altstadt von Alberobello steht inzwischen auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes und hat die Stadt weit über die Grenzen Apuliens hinaus bekannt gemacht.
Aber … wo genau liegt Apulien?
Oder wo liegt es ungefähr. Italiens südöstlichste Provinz erträgt das Schicksal der Ignoranz seit mehreren Jahrtausenden stoisch. Der französische Herrscher Karl von Anjou verlor schnell das Interesse an seiner Eroberung aus der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts und die Region genau so rasch an Bedeutung.
Das Haus Aragon übernahm die Herrschaft, verlor sie an die Habsburger, die sie wiederum leidenschaftslos den Bourbonen überließ. Unter den fremden Herrschern konnten sich nur die Griechen im dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung sowie der Hohenstaufer Friedrich II. wirklich für den Absatz des italienischen Stiefels erwärmen. Der schwäbische Regent und bekennende Atheist liebte das Land und sorgte für einen kurzfristigen wirtschaftlichen Aufschwung. Ihm verdankt die Region ihr bekanntestes Bauwerk, das achteckige Castel del Monte. Mit dem stolzen Schloss in vollendet geometrischer Form setzte der Hohenstaufer seiner Herrschaft und dem Berg eine architektonische Krone auf. Die Italiener danken es dem Häuslebauer und prägen die Festung auf ihre Ein-Cent-Münzen.
Land ohne Regen
Die Wahl der kleinsten aller Euro-Münzen hat Symbolcharakter. Im Vergleich mit dem Bruttoinlandsprodukt der EU, dem Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die innerhalb eines Jahres hergestellt werden, erreicht Apulien einen Wert, den man mit einer Region in der dritten Welt vergleichen könnte.
Besonders weit kommt man mit einem Cent in den armen Regionen des italienischen Südens trotzdem nicht. Dafür bekommt man eine Menge Sonne für seine Urlaubstaler. Die Region Apulien trägt das lateinische Pluvia, Regen, im Namen. Schon die Römer sahen in ihr eine Gegend ohne Niederschläge. Den Urlauber freut es.
Info
Die relativ weite Anreise nach Apulien lohnt sich mit dem Auto unter finanziellen Gesichtspunkten nicht. Die hohen Benzinpreise und die Maut auf italienischen Autobahnen stellen einen beträchtlichen Kostenfaktor dar. Direktflüge nach Bari oder Brindisi gibt es abhängig von der Saison ab Frankfurt am Main, Köln, Düsseldorf, Hannover, Berlin, Leipzig, Nürnberg, Stuttgart und München; enit.de
Fotos: Italienische Zentrale für Tourismus ENIT