Meine Reise-Experten
Jeder, der schon einmal eine Kreuzfahrt unternommen hat, weiß: alle Vorurteile sind wahr. Das schöne an dieser Erfahrung ist, dass man sie lieben lernt. Denn jeder von uns ist viel gewöhnlicher, als er sich gerne eingestehen möchte.
Teil 1 – Der Zorn
4.50 – vier Uhr fünfzig? Zu dieser Zeit wollte ich schon im Taxi nach Tegel sitzen, von wo in einer Stunde der Flug geht. Mit einem Satz aus dem Bett und laufend nach Allem gegriffen, was noch fehlt (vergesse ausgerechnet die Nagelbettcreme gegen besonders trockene Seeluft) und kaum 30 Minuten später am Check In. Im Duty Free Bereich deodoriere ich mich mit einem Fahrenheit Test-Dispenser. Würde ich an ein schlechtes Omen glauben, wäre das schon der passende Start. Oder war es eher der Moment, als die Italiener nach der Landung in Rom zu klatschen anfingen? Oder sind sie einfach nur dankbar, überhaupt noch eine nationalstaatliche Airline benutzen zu können? Der Mundpflege im Flugzeug folgt die Rasur in Rom samt Toilettengang. Vor Klositzen habe ich mich noch nie geekelt. Viel schlimmer waren die schmierigen Hörer, die man sich in öffentlichen Telefonzellen ans Ohr halten musste. Verschmiert von Schweiß komme ich nach einem Höllenmarsch durch den endlosen Hafen bei der „Equinox“ an. Es hatte wohl doch einen Grund, weshalb am Hafeneingang Shuttle-Busse standen. Und der Schrecken hat kein Ende: 2.800 Homos auf einem Schiff, aber kein einziger abschraubbarer Duschkopf.
Teil 2 – Die Völlerei
Was ist der Unterschied zwischen einer schwulen und einer heterosexuellen Kreuzfahrt? Bei der schwulen Kreuzfahrt bleibt immer etwas zu essen übrig! Das heißt natürlich nicht, dass orale Genüsse zu kurz kämen. Die “Equinox” verfügt nicht nur über zwei riesige Restaurants, dem zweigeschossigen “Grand Epernay” und dem “Oceanview”. Es befinden sich dazu noch das “Murano” (French), das “Silk” (Asian), das Tuscan (Italian), der Mast Grill, das Blu, das Bistro, das Aqua Cafe und die Eisdiele an Bord. Allein das Ocean mit seinem Buffet ist praktisch rund um die Uhr geöffnet:6.30-7.30 frühes Frühstück, 7.30-11.00 Frühstück, 11.00-1.00 spätes Frühstück, 12.00-3.00 Brunch, 12.00-4.00 Pizza, 6.30-9.30 Dinner, Mitternacht bis 4.00 Nachtsnacks.
Teil 3 – Der Hochmut
Die Passagiere einer Atlantis-Kreuzfahrt spalten sich grob in zwei Kategorien auf: die einen sind sexy, die anderen sind Frühaufsteher (das Wort Seebär hat nun eine ganze neue Bedeutung). Nur ich gehöre, wie immer, jeder Kategorie an. Zumindestens nach den an Bord geltenden Standards – im Frühaufstehen! Tatsächlich gibt es hier vor 7.30 Uhr nicht mal ein ordentliches Frühstück und da sitze ich gewöhnlich schon im Büro. Nicht jedoch nach der Tea Dance Party von gestern. Draußen die ruhige schwarze See, die von dem Ozeanriesen gleichmütig ohne jeden Erschütterung durchzogen wird. Nicht einmal die Bügel im Kleiderschrank triangeln gegeneinander. So könnte es sein. Stattdessen UFFTA UFFTA UFFTA bis in die Morgendämmerung. Wer hätte gedacht, das Schiffe aus Blech sind? Wenn hier etwas zu Boden fällt, dann nicht dumpf, sondern mit dem Geräusch einer Kuhglocke. Vermutlich sind die Schiffsbauer davon ausgegangen, dass ihre Gäste nachts ohnehin das Hörgerät ausschalten. Wer noch sehen kann, durfte gestern zum Tea Dance ein Dog Tag tragen, bei dem man die Farbe wählen konnte. Rot für nicht verfügbar, gelb für ein Date und grün für Sex in 15 Minuten. Lustigerweise tragen vor allem jene ein rotes Tag, die ohnehin nicht befürchten müssen, angesprochen zu werden. So wie diese beiden da, die gerade Hand in Hand angeschnauft kommen. Gemessen an ihrer Körperverdrängung ist das kein Paar, das ist ein Quartett.
Teil 5 – Die Wollust
Wie mir meine Quellen zugeraunt haben, soll es im Anschluss an die Parties nachts zu sexuellen Handlungen im AquaSpa kommen – teilweise in Gruppen. Nun ist dies auf einer Kreuzfahrt wie dieser nicht wirklich überraschend, aber doch einigermaßen unverfroren, wenn daneben die, stets auf Reinlichkeit bedachte Crew, gerade sauber macht. Da ich selber das Prinzip Klasse statt Masse verfolge, interessiert mich das Phänomen eher auf seiner kommunikativen Ebene, weshalb ich beschließe, meiner Chronistenpflicht nachzukommen. Leider liegt zwischen mir und der Party immer eine Hürde – genannt Nacht. Unter Einfluss zahlreicher alkoholischer Getränke gelingt es mir jedoch, früh zu schlafen und termingerecht aufzuwachen. Am Dance-Pool herrscht bereits reges Treiben. Um so mehr bin ich darauf bedacht, den einzigen freien Platz im Jacuzzi neben mir zu verteidigen. Was mir spielend gelingt, schließlich ich bin ein Meister der lakonischen Konversation.
He: „How is the water? “ Me: „Wet. “ He: Leaving
Teil 5 – Der Neid
Der naive Betrachter mag sich fragen, was für ein Neidmotiv soll es hier geben? Aber wie so häufig wähnen die, die drinnen sind, die, die draußen stehen, als glücklich. Während die draußen Stehenden sehnsuchtsvoll aus dunkler, verschneiter Nacht in die warm leuchtenden Fenster der Beziehungshütte blicken und glauben, drinnen spiele sich das Leben ab. “Are you single?” ist an Bord praktisch die gängige Begrüßungsfrage. Aber was soll diese Frage bezwecken? Glaubt man im Ernst, dass nur wer Single ist, für ein Kennenlernen, Flirten oder mehr zu Verfügung steht? Natürlich gibt es die Paare, die nach geleistetem Eheschwur gemeinsam fett werden. Obwohl die hier stattfinden Single-Dinners den Eindruck erwecken, als gelte es, eine Behinderung möglichst diskret zu beheben, ist der Zustand der Unabhängigkeit die eigentliche Voraussetzung zum Beziehungsglück.
Teil 6 – Die Trägheit
Nun ist es passiert. In den letzten Tagen habe ich so viel geruht, dass ich Knitterfalten in meinem, nicht unbeträchtlichen, Dekollete bekommen habe. Den Rest des Lebens werde ich nur noch im Sitzen schlafen. So träge bin ich geworden, dass es mir schwer fällt, mehr als zwei von diesen speziellen Süßspeisen ohne Zuckerzusatz auf meinen Teller zu schaufeln. Immer noch besser aber, als dieser Schmerbauch. Der hat in den letzten Tagen schätzungsweise 5 Kilo zugenommen – an jedem Bein. Jetzt kann er sie nicht mehr schließen und läuft, wie eine Krabbe, eher seitlich als gerade aus. Und die Wespe dort hat sich mit einem knallbunten Bermuda-Short, für den sie mindestens zwanzig Jahre zu alt ist, so die Taille eingeschnürt, dass der Oberbauch wie eine Schürze drüber hängt.
Teil 7 – Die Habgier
Sie haben nichts gemerkt! Mein Pass ist um einen Stempel bunter. Ich hatte schon befürchtet, mein Eintrag vom Ben-Gurion-Airport in Tel Aviv würde in Ägypten auf Missfallen stoßen. Aber vermutlich sind sie zu unterzuckert, denn es ist Ramadan. Keine Nahrungsaufnahme von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Ein Konzept, dem mein Busnachbar auch einmal näher treten sollte. Aber dann würde er vermutlich auch einen dieser Zutzelbärte tragen, wie jener Bauarbeiter der da auf dem Grünstreifen döst. “Grün” ist dabei symbolisch zu verstehen, denn diese Straße führt nicht nur zu den Gräbern der Pharaonen, sondern offensichtlich direkt in die Unterwelt. Wenn hier so viele arbeitssuchend sind, wie unsere Reiseleitung betont,
wieso macht dann niemand mal sauber, hm? Während draußen eine Mondlandschaft vorbeizieht, ist die Reiseleitung beim Verkaufsteil ihres historischen Vortrages angekommen. Man habe nun die günstige Gelegenheit, sich seinen Namen in Hieroglyphen auf Gold (785 Carat) grafieren zu lassen für EUR 110 bei bis zu vier Buchstaben. Heute mit einem Busdiscount von zehn Euro. Eine Tafel zeigt die Symbole, woraus sich mein Name zusammensetzen würde: Taube, Löwe, etwas, das aussieht wie ein tropfender Olivensack, sowie Schlange oder möglicherweise ein Wurm mit Öhrchen. Die Versammelten verlassen den Geschäftsraum wie von einem Kleopatra-Look-A-Like-Contest. Die mitfahrenden Sicherheitsoffiziere schauen so finster, als würden sie, statt potentieller Attentäter, lieber uns Homos über den Haufen schießen. Dann könnten sie mehr von dem, was ihre Schutzbefohlenen am Lunch-Buffet übrig gelassen haben, in Aluschalen für heute Abend packen. Ach, die Pyramiden übrigens, die zerfallen.
Fotos: Olaf Alp, Carsten Heider